Schon Anfang 2019 hatte der Verband eine intensive Auseinandersetzung mit den Umweltfaktoren Mobilität, Vernetzung und Verknappung sowie deren Wirkung auf das einzelne Gebäude eingeläutet. Mit den ersten Ergebnissen präsentierte die IG Lebenszyklus in der Wirtschaftskammer Wien nun neue Impulse und Leitlinien für die effektive Bewältigung anstehender Herausforderungen bei der lebenszyklusorientierten Planung, Errichtung, Finanzierung und Bewirtschaftung von Gebäuden und deren Umfeld.
Wir haben gut daran getan, das Gebäude zu verlassen und in den Raum zu gehen“, sagte Vorstandsmitglied Christoph M. Achammer, ATP architekten ingenieure, angesichts des facettenreichen Kongressprogramms und der Ergebnisse des Arbeitsjahres 2019. Die Auseinandersetzung mit interdisziplinären Perspektiven auf Phänomene wie soziale Vernetzung hielt er dabei für ebenso notwendig, wie das kritische Hinterfragen unzeitgemäßer Regulierungen und prozesshemmender Partikularinteressen.
Mobilitätskonzepte gewinnen in der Bau- und Immobilienwirtschaft zunehmend an Einfluss: Denn Veränderungen im Verkehrsnutzungsverhalten (wie E-Mobility, autonomes Fahren und Sharing-Modelle) stellen Infrastruktur-, Gebäude- und Quartierentwicklung vor große Herausforderungen und rücken Nachhaltigkeitsaspekte und effiziente Raumnutzung in den Fokus. "Mit dem neuen Diskussionspapier Nachhaltiges Bauen braucht Mobilität ist eine Bündelung der für Immobilienplanung und -entwicklung wesentlichen mobilitätsbezogenen Fragen gelungen", sagte AG-Leiter Stefan Rufera, KPMG. Das auf Basis intensiver Gespräche mit Expertinnen und Experten aus dem Kontinuum Mobilität - Raum - Gebäude erarbeitete Meinungsbild unterstreiche u.a. die Bedeutung übergeordneter Raumkonzepte und die Notwendigkeit flexibler Gebäudegestaltung.
Dem Phänomen Vernetzung näherte sich die IG Lebenszyklus Bau im vergangenen Arbeitsjahr aus technologischer und aus sozialer Perspektive. Daraus ist der Praxisleitfaden „Schritt für Schritt zum gebäudeübergreifenden Energiesystem“ entstanden. Diese Publikation verdeutlicht neben den technischen Voraussetzungen auch die Rollen der beteiligten Stakeholder und die Bedeutung zentraler Koordination. In dem Leitfaden skizzierten die AutorInnen erstmals eine integrale Herangehensweise an die Entwicklung lokaler Energienetze, erläuterte AG-Leiterin Margot Grim-Schlink, e7 energy innovation & engineering. Zwar sei die praktische Umsetzung der dargestellten Schritte noch eher Ausnahme als Regel, doch sprechen günstige Rahmenbedingungen und zahlreiche Vorteile für ein konzertiertes Vorgehen. Den Nutzen von Kooperation unterstrich auch IG Lebenszyklus-Vorstand Klaus Reisinger (iC consultenten), der soziale Vernetzung eng mit Fragen der Lebensqualität verbunden sah. Dass weiterer fachübergreifender Austausch über das Thema stattfinden müsse, stand für ihn außer Frage: Die IG Lebenszyklus Bau werde dabei eine Vorreiterrolle einnehmen.
Als ressourcenintensivste Industrie ist die Bauwirtschaft auch zur gründlichen Beschäftigung mit Verknappungsfragen aufgerufen. Die einschlägige Arbeitsgruppe der IG Lebenszyklus Bau befasste sich im Arbeitsjahr 2019 vertieft mit Flächenverbrauch und möglichen Optimierungsmaßnahmen. Schon der "Umstand, dass Wien jährlich um Eisenstadt wachse, müsse Anlass geben, ganzheitlich zu denken", forderte Walter Hammertinger, Value One: Eigentums- und Nutzungsgrenzen gelte es in diesem Kontext ebenso zu thematisieren wie multifunktionale Nutzungen, Aktivierung von Brachen, Entwicklungen in die Höhe und antiquierte Regularien.
Das K.O.P.T.-Modell als Prozessgrundlage erfolgreicher Bau- und Immobilienprojekte verliert auch vor dem Hintergrund der Perspektiverweiterung nicht an Relevanz: Mit dem ergänzenden Praxisleitfaden „Hybrides Projektmanagement“ erhält das Theoriemodell mit den vier Säulen Kultur, Organisation, Prozesse und Technologien eine Erweiterung und Vertiefung: „Indem wir Methoden des klassischen und agilen Projektmanagements zu einem standardisierten Prozess zusammenführen, schaffen wir einen praxisorientierten Rahmen, der Kreativität wahrt, steigende Komplexität abbildet und die Zuverlässigkeit getroffener Entscheidungen erhöht“, erläuterte IG Lebenszyklus Bau-Vorstand Wolfgang Kradischnig, DELTA, die Vorzüge des entwickelten Modells.
Bauunternehmen, die lebenszyklus- und nachhaltigkeitsorientiert arbeiten, soll dadurch kein Wettbewerbsnachteil entstehen. Was die Nachsorgephase anbelange, fehlten jedoch Regelungen, die einen Nachhaltigkeit-Fokus sicherstellten, skizzierte Berthold Lindner, Heid & Partner Rechtsanwälte. Das neue Positionspapier „Implementierung von Lebenszyklen in Genehmigungsverfahren“ schlägt vor, Nachnutzungsfragen bereits im Bauverfahren zu berücksichtigen – ohne ein weiteres Genehmigungskriterium einzuführen. Habe man bereits in der Planungsphase über etwaige Nachnutzungsoptionen nachgedacht, könnten Umwelt- und Klimabelastungen durch Abbrüche reduziert werden, erläuterte Lindner die Intention des präsentierten Vorschlags.