Eingangs ist zu erwähnen, dass derzeit weniger als 20 Prozent der Wirtschaftsaktivitäten in der EU nachhaltig sind. Der Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft bis 2050, wie sie im Green Deal der Europäischen Kommission festgeschrieben ist, erfordert daher erhebliche Anstrengungen in allen Sektoren. Ein wesentliches Element dazu ist das „Sustainable Finance Package“ der EU, das Kapitalströme stärker in Richtung nachhaltige Investitionen lenken soll.
Als Ausgangspunkt dafür wurde mit der EU-Taxonomie ein Klassifizierungssystem für die Einordnung von wirtschaftlichen Aktivitäten geschaffen. Sie legt schrittweise einen Rahmen zur Definition nachhaltiger Wirtschaftsaktivitäten fest. Die EU-Taxonomie gilt bereits seit dem Sommer 2021 und ist im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden – sie wirkt direkt in den Mitgliedsstaaten. Sie ist ein Regelwerk, das nachhaltige Investitionen erleichtern und forcieren soll.
In der Taxonomie-Verordnung sind Detailregelungen inkludiert, die konkrete Kriterien zur Beurteilung der wirtschaftlichen Aktivitäten festlegen. Das sind vor allem die technischen Bewertungskriterien, die sich erstmal auf die beiden ersten EU-Umweltziele – Umweltschutz und Anpassung an den Klimawandel – beziehen.
Zusätzlich gibt es im Rahmen des Sustainable Finance Package sechs begleitende delegierte Rechtsakte, die sich in erster Linie an Finanzmarkt-TeilnehmerInnen richten. Hier geht es sehr stark um Informationen, die man dem Markt offenlegen muss, um Investitionsentscheidungen treffen zu können.
Die EU-Taxonomie ist wichtig, um eine gemeinsame Sprache und eine Ordnungssystem zu haben und ist auch ein wesentliches Element, um Greenwashing zu vermeiden. Sie verpflichtet jedoch niemanden dazu, grüne Veranlagungsprodukte zu kaufen oder ein nachhaltiges Gebäude zu errichten. Es sind vielmehr die Richtlinien darum herum, die dann – unter Bezugnahme auf die Taxonomie – eine bestimmte Wirkung entfalten sollen.
Zuerst einmal große, kapitalmarktorientierte Unternehmen, wie Kreditinstitute und Versicherungen, die auch bisher schon durch die Vorregelungen der EU-Taxonomie-Verordnungen betroffen waren, indem sie gemäß Non Financial Reporting Directive zu einer nichtfinanziellen Berichterstattung verpflichtet sind.
Neu ist, dass gemäß Corporate Social Responsibility Directive ab 2024 (für das Geschäftsjahr 2023) alle großen Unternehmen laut KMU-Definition hinzukommen und Unternehmen, deren Wertpapiere auf einem geregelten Markt gehandelt werden. Und das erweitert den Pool an Unternehmen, die von diesen Offenlegungsverpflichtungen betroffen sind, erheblich.
Bisher waren das rund 10.000 bis 11.000 – nun werden es um die 50.000 sein. Das ist eine Verfünffachung der betroffenen Unternehmen im ersten Schritt. Und kleinere Unternehmen werden noch folgen. Sie alle werden nun Zusatzinformationen zu ihren rein finanziellen Informationen liefern müssen.
Genau. Es wirkt in zwei Richtungen. Wenn wir nun bei den KapitalgeberInnen bleiben, hat das im Wesentlichen drei Funktionen:
Diese Kategorisierung bringt Transparenz, Vergleichbarkeit und eine Basis, an der man als Unternehmen und KapitalgeberIn Stellschrauben ansetzen kann. So kann die EU indirekt, aber sehr wirkungsvoll in das Gesamtsystem eingreifen und einen Ansatzpunkt für die Lenkung von Kapitalströmen liefern.
Abseits der Finanzierung, muss man natürlich sagen, gibt es für Großunternehmen auch wieder zwei Betrachtungsebenen: einerseits das Kerngeschäft, in dem sie die Kriterien erfüllen und über die sie berichten müssen und andererseits müssen sie auch über ihre Immobilien im Portfolio berichten. Das mag bei manchen Unternehmen einen ähnlich hohen Stellenwert haben, aber ich traue mich zu sagen, dass für viele die Immobilien vielleicht nicht so wichtig sein werden.
Ja, das kann natürlich sein, wenn man jene Unternehmen herauslässt, die Immobilien als ihr Kerngeschäft betrachten. Richtig spannend wird es, sobald CO2 einen Preis bekommt – das soll nun ab Juli 2022 im Rahmen der „Ökosozialen Steuerreform“ der österreichischen Bundesregierung der Fall sein. Dann kann der CO2-Footprint von wirtschaftlichen Aktivitäten oder Investitionen im Rahmen von Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen einfacher Berücksichtigung finden. Ich bin davon überzeugt, dass das der nächste große Stellhebel ist.
Die Betrachtung des Neubaus innerhalb der EU-Taxonomie stellt so etwas wie die Kernvariante dar. Die Sanierung und auch die Bewertung des Gebäudebestands bauen auf der Neubau-Betrachtung auf, haben aber natürlich andere und teilweise weniger Anforderungen, die in den delegierten Rechtsakten geregelt sind.
Beim Neubau geht es um sechs Umweltziele:
In einem dieser Kriterien muss man einen wesentlichen Beitrag mit dem Bau und dem Betrieb eines neuen Gebäudes leisten. Die anderen fünf Umweltziele darf man dabei nicht wesentlich schädigen – das heißt im Rechtstext „do no significant harm“.
Es gibt Themen, die schon eine große Auswirkung bei Neubauten haben werden. Das ist zum Beispiel der Primär-Energiebedarf. Wenn ich hier als Unternehmen einen wesentlichen Beitrag leisten will, muss dieser um zehn Prozent niedriger sein, als ihn die Bauordnung des jeweiligen Landes vorschreibt.
Was ich eingangs schon einmal erwähnt habe, ist vielleicht an der Stelle noch einmal wichtig: Die EU-Taxonomie ist keine Verpflichtung nachhaltig zu bauen und setzt derzeit auch keine rechtlichen Konsequenzen. Ich muss nur offenlegen, wie ich die wirtschaftlichen Aktivitäten meines Geschäftsmodells umsetze.
Darin sehen ExpertInnen genau das Risiko, dass die Taxonomie-Verordnung ein zahnloses Instrument bleiben kann. Sie generiert viel administrativen Aufwand, wohingegen im Vergleich eine CO2-Bepreisung wirklich Fakten schaffen wird. Und ich bin unbedingt der Meinung, dass das beides zusammenwirken muss. Das eine wird ohne das andere nicht funktionieren.
Aber um noch einmal auf den Neubau zurückzukommen: Ich glaube nicht, dass die Betrachtung eines neuen Objekts bei Fertigstellung ausreicht – ich muss mir als Bau-AuftraggeberIn schon überlegen wie groß mein CO2-Aufwand im Betrieb sein wird. Denn der Energiebedarf wird bis 2050 gegen Null gehen müssen. Das bedeutet für einen Neubau, dass Umweltziele, die heute gelten, nicht festgeschrieben sind. Sie werden sich der Dekarbonisierung des Gebäudebetriebes um ≥ 90 Prozent bis 2050 entsprechend der „Sechstel-Regel“ anpassen müssen. Wenn ich also heute baue, sollte ich schon an dieses Gebäude in 30 Jahren denken, um zu verhindern, dass es in Zukunft nicht mehr den dann aktuellen Umweltzielen für Bestandsgebäude entspricht.
Aus Finanzierungssicht ist das ein sehr wichtiger Punkt. Denn die Erfüllung oder Nichterfüllung der Kriterien kann sich auf den Gebäudewert auswirken. Und das ist ja 1:1 die Basis für den Besicherungswert für eine Bank, die sich gut ansehen wird, welche Projekte sie in Zukunft finanziert. Also starke kommerzielle Überlegungen, die hier dahinterstehen.
Beim Gebäudebestand müssen wir in einen gewissen „Qualitätskorridor“ kommen. Ein Bestandsgebäude muss in Bezug auf den Primärenergiebedarf zu den besten 15 Prozent des nationalen oder regionalen Gebäudebestands gehören. Dazu müssen noch Tools aufgebaut werden in den Ländern, um diese überhaupt erheben und einordnen zu können.
An diese Daten zu kommen, ist auch eines der wesentlichen Probleme. Denn das inkludiert ja auch alle Produkte, die in einem Gebäude verbaut wurden.
Dazu haben Europäische Green Building Councils auch schon eine Studie gemacht, die zeigt, dass hier die größten Probleme liegen.
Wir sehen in der Zukunft Vorteile in der Digitalisierung der Immobilienwirtschaft, wenn es mehr und mehr in Richtung BIM (Building Information Modeling) und digitalem Gebäudepass geht. Das wird sich in Zukunft schon verbessern, aber für heutige Bestandsgebäude bleibt es eine Herausforderung. Ein Weg wird eventuell sein, dass man Gebäudezertifikate nachholt. Der Aufwand ist allerdings kein geringer.
Auch dazu haben sich die Green Building Councils gleich nach Veröffentlichung der ersten Informationen zur EU-Taxonomie Gedanken gemacht. Sie haben festgestellt, dass gerade bei Neubauten die Kriterien, die in der Taxonomie erfüllt werden müssen, in Gebäudezertifikaten schon sehr gut abgebildet sind. Je nachdem ob ich ein amerikanisches, ein britisches oder ein deutsches Zertifikat anstrebe, gibt es natürlich schon große Unterschiede inwieweit die ZertifikatsanbieterInnen auf EU-Recht Bezug nehmen. Da hat das DGNB Zertifikat, das in Österreich durch die ÖGNI vergeben wird, den großen Vorteil, dass es schon jetzt EU-konform ausgelegt ist. Einige Kriterien müssen noch angepasst werden, aber im Wesentlichen passen sie bereits zum European Green Deal. Das heißt in Zukunft, wenn man als Bau-AuftraggeberIn eine Zertifizierung anstrebt, ist eine Bestätigung der Erfüllung der EU-Taxonomie-Kriterien inkludiert.
Na ja, Unternehmen müssen bei den Offenlegungsverpflichtungen nicht direkt die Nachhaltigkeit des Gebäudes nachweisen, sondern die Aktivitäten, die das Unternehmen erbringt. Die Frage ist immer welcher Anteil vom Umsatz aus nachhaltigen Aktivitäten resultiert. Das hängt sehr stark an den technischen Parametern der Assets, mit denen Unternehmen diese wirtschaftliche Aktivität betreiben. Und weil man als Unternehmen jedes Jahr einen anderen Umsatz erwirtschaftet, ist auch jährlich ein Report über die Entwicklung der Aktivitäten vorzulegen.
Also konkret auf deine Frage: Ja, man wird das auf Basis der Corporate Social Responsibility Directive bzw. der Taxonomie-Verordnung verpflichtend jährlich vorlegen müssen und es auch jedes Jahr extern prüfen lassen.
Auch hier liegen wieder Herausforderungen für die Unternehmen, die jetzt dafür sorgen müssen, dass all das in ihren Reporting-Prozessen eingebaut werden muss. Das betrifft wesentliche Teile des Betriebsmodells von Unternehmen. Es ist ein Transformationsprozess, vor dem viele momentan stehen – die Immobilienbranche beschäftigt sich zum Beispiel gerade sehr stark damit. Leider stehen wir noch sehr am Anfang – dessen muss man sich bewusst sein. Da wird sich in den nächsten Jahren sehr viel bewegen und ich hoffe langfristig eine Wirkung zeigen, um dieser Klimakrise entgegenzuwirken.
Das ist eine Frage, die sich schon lange vor der EU-Taxonomie gestellt hat. Es ist allerdings schwer zu sagen und von Gebäude zu Gebäude unterschiedlich. Ja, in der Investition mag ein nachhaltiges Gebäude durchaus teurer sein als ein Gebäude nach Bauordnung, aber man muss ja immer im Lebenszyklus denken. Und Gebäude, die später beispielsweise wenig Kosten im Energieverbrauch verursachen, sind über ihre Gesamtnutzungsdauer oft günstiger.
Man darf auch einen Aspekt der Nachhaltigkeit bei Gebäuden nicht vernachlässigen, der nicht monetär bewertbar ist. Nämlich der, dass man ein gesundes (Arbeits)Klima schafft und damit auch Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit der MitarbeiterInnen steigert. Das sind Verbesserungen, die durchaus einen großen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit haben können.
Wenn sich die Investition über den Lebenszyklus rechnet, ist sie sowieso kein Problem. Ein noch viel größerer Handlungsdruck wird allerdings entstehen, sobald CO2 seinen Preis bekommt. Dann geht die Rechnung für Unternehmen wahrscheinlich sehr schnell auf und man sieht auf einen Blick, was sich besser bewährt.
Ja, das sieht man auch schon. Also, dass nachhaltige Investitionen bei der Finanzierung zu besseren Konditionen führen. Neubauprojekte sind im Gegensatz zu Sanierungsprojekten dabei einfacher zu bewerten. Es ist zu erkennen, dass sich Banken – bedingt durch die regulatorischen Entwicklungen – damit beschäftigen und dass man als Bau-AuftraggeberIn auch in diesbezügliche Gespräche eintreten kann.
Allein und sofort wird dieses Instrument nicht alle Probleme lösen, aber ich glaube, dass es ein sehr schlauer Ansatz war vom Kapital weg zu starten und zu versuchen, die Kapitalströme in eine bestimmte Richtung zu lenken.
Ich glaube, das größte Problem, das wir haben, ist das Tempo. Es wird sehr schwierig die EU-Klimaziele mit diesen Maßnahmen bis 2030 oder 2050 zu erreichen.
Das kann ich nur unterstreichen und möchte noch ergänzen, dass ich der Meinung bin, dass die Taxonomie ein gutes Werkzeug dafür ist, um in Zukunft gar nicht mehr nicht nachhaltig zu bauen oder überhaupt nicht nachhaltig zu wirtschaften.
Environmental Social Governance (ESG), also zu Deutsch Umwelt, Soziales und Unternehmensführung, wird das bestimmende Zukunftsthema der kommenden Dekaden. Unternehmen, die dies erkennen und aktiv angehen, können von enormen Transformationschancen auf dem Kapitalmarkt, gegenüber dem Wettbewerb und in der öffentlichen Wahrnehmung profitieren.
Ich glaube auch daran, dass man in Zukunft eher gar nicht mehr bauen wird, anstelle von nicht nachhaltig zu bauen, weil es durch die regulatorischen und kommerziellen Rahmenbedingungen – und hoffentlich auch durch die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen – nicht mehr attraktiv sein wird.
Stefan Rufera ist Berater bei der KPMG und beschäftigt sich schon seit über 15 Jahren mit den Themen Infrastruktur und Gebäude. Dieser Bereich ist einer, der in letzter Zeit ganz stark von Nachhaltigkeit getrieben wird. Es gibt schon jetzt regulatorische Anforderungen, die auf den Immobiliensektor wirken und in Zukunft eine große Transformation auslösen werden. Nachdem sich diese Transformation aus dem kaufmännischen Bereich heraus entwickelt und diesen stark betrifft, beschäftigt sich Stefan mit diesem Thema immer intensiver.
Martin Käfer ist Senior Consultant bei M.O.O.CON und befasst sich bereits ähnlich lange mit dem Thema Nachhaltigkeit von Gebäuden und Infrastrukturen. M.O.O.CON ist eines der Gründungsmitglieder der DGNB (Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen) und ÖGNI (Österreichische Gesellschaft für nachhaltige Immobilienwirtschaft) und Martin ist dort auch im Fachausschuss und als Auditor tätig. Auch mit der EU-Taxonomie-Verordnung hat sich Martin bereits intensiv auseinandergesetzt, wird sie doch große Auswirkungen auf Unternehmen mit Immobilienbesitz haben.