Früher war das Aussehen von Gebäuden regional geprägt und die verwendeten Baustoffe regionaltypisch. Mit der Industrialisierung, und später noch stärker mit der Globalisierung, veränderten sich die Möglichkeiten komplett. Damit entstehen neben dem „CO2-Rucksack“ der Gewinnung und Fertigung auch Emissionen aus Verkehr und Logistik.
Durch gestiegene Anforderungen an Wärmeschutz, Sicherheit und andere Bereiche sind völlig neue Baustoffe entstanden, die diesen Anforderungen gerecht werden können. Um nur einige Beispiele zu nennen: Stahlbetonverbindung für eine robuste Konstruktion mit langer Lebensdauer, Dämmstoffe für die Verbesserung des Wärmeschutzes, Brandschutz-Materialien, Dichtschäume, etc.
Waren noch in der Gründerzeit Ziegel, Holz und Stahl im Einsatz, so stehen wir heute vor einer unglaublich breiten Baustoffpalette mit Sonderstoffen deren Gewinnung, Entsorgung und Wiederverwendung in zunehmendem Maß Probleme aufwirft.
Die Baubranche ist eine der HauptkonsumentInnen der endlichen Ressourcen unserer Erde: In Deutschland werden jährlich über 500 Millionen Tonnen mineralischer Rohstoffe (Österreich: 80 Millionen) verbaut, was etwa 90 Prozent (Österreich: 80 Prozent) des gesamten inländischen Verbrauchs an mineralischen Rohstoffen ausmacht1.
Durch Abbruchtätigkeiten ist die Baubranche für einen beträchtlichen Teil des gesamten Abfallaufkommens verantwortlich. Zudem liegt beispielsweise in Deutschland der Anteil des gebäuderelevanten Energieverbrauchs am jährlichen Gesamt-Energieverbrauch bei ca. 35 Prozent2. Wobei 2019 42 Prozent3 (Österreich: 75 Prozent4) dieses Energiebedarfs durch erneuerbare Energien gedeckt wurde.
Der Anteil des Gebäudesektors an den gesamten nationalen CO2-Emissionen liegt bei ca. 28 Prozent5 (direkte und indirekte Emissionen; Österreich: 16,1 Prozent6). Heute, vor dem Hintergrund einer weiterwachsenden Bevölkerung, wird uns Menschen zunehmend bewusst, dass die Ressourcen unseres Planeten endlich sind. Seien es die fossilen Energieträger (wie Erdöl, Kohle oder Erdgas) oder andere Ressourcen, wie z.B. Wasser oder Sand – die weltweit am meisten konsumierten Rohstoffe7.
Auch wenn die Wiederverwendungsquote des mineralischen Bauschutts in Deutschland bei fast 90 Prozent liegt8, geht ein Großteil der Ressourcen durch Downcycling verloren, da die Verwendung als Füllmaterial oder als Untergrund für den Straßenbau aus Sicht vieler KritikerInnen keine echte Wiederverwendung darstellt.
Eine Antwort auf diese Frage erläutert der Begründer des Cradle2Cradle-Konzepts Prof. Michael Braungart. Das Konzept sieht die sichere und potenziell unendliche Zirkulation von Materialien und Nährstoffen in Kreisläufen nach dem folgenden Prinzip vor: Alle Inhaltsstoffe sind chemisch unbedenklich UND kreislauffähig. Müll im heutigen Sinne gibt es nicht mehr, sondern nur noch nutzbare Nährstoffe oder wiederverwendbare Produkte. „Gebäude wie Bäume, Städte wie Wälder“ – das ist die Zukunftsvision der Cradle2Cradle-Bewegung. Eine großartige und überaus erstrebenswerte Idee! Dazu braucht es eine Vielzahl an Cradle2Cradle-zertifizierten Produkten, durchdachte Rücknahmesysteme und Materialdatenbanken in großem Stil. Ein großes Stück Arbeit, das noch vor uns liegt.
Die Bedeutung von Erneuerbarkeit und Wiederverwendbarkeit in der Bau- und Planungsphase bleibt DAS Gebot der Stunde. Und hier machen besonders die „Kleinigkeiten“ in der Planung und Ausführung der Baukonstruktion den großen Unterschied: Gesteckt statt geklebt, verwittert statt versiegelt, gestopft und geklemmt statt ausgeschäumt.
Und bis zur Erreichung der C2C-Idee geht es unserer Meinung nach um die möglichst effiziente Reduktion des Fußabdrucks der eingesetzten Materialien („Null-Emission“ oder „Frei-von“-Strategie). Wie groß ist der Rucksack der Emissionen eines Produktes durch Rohstoffgewinnung, Produktion, Transport und Einbau auf der Baustelle? Und wie bedenklich sind die Inhaltstoffe von Baumaterialien? Bedenklichkeit versteht sich hier mit Blick auf die Ausdünstungen im Innenraum und auf die Weiterverwendung am End of Life.
Ein verschwenderischer Umgang mit Baustoffen ist bis zum – und aus unserer Sicht auch beim – Erreichen der C2C-Prinzipien nicht angesagt.
Aktuell sind nur 8,6 Prozent der deutschen Wirtschaft kreislauffähig. Die Material-Wiederverwendungsquote liegt aktuell bei nur 11 Prozent9. Wir haben also noch eine riesengroße Aufgabe vor uns, um unsere gesamten Wirtschaftsgüter kreislauffähig umzustellen.
Grundlage des Gedankens einer vollständig funktionierenden Kreislaufwirtschaft ist grüne Energie. Denn der Transformationsprozess und die Kreisläufe werden nicht ohne Energiezufuhr funktionieren. Der hohe Energiebedarf von Gebäuden (40 Prozent – siehe weiter oben im Artikel) muss also ausschließlich über erneuerbare Energien gedeckt werden.
Wir haben einen unserer Kunden, Markus Winter, den Geschäftsführer des Unternehmens Windkraft Simonsfeld, zu seinen Erfahrungen aus sechs Jahren Betrieb eines Plusenergie-Gebäudes befragt. Das 2014 errichtete Headquarter des Unternehmens war das erste gewerbliche Plusenergiehaus Niederösterreichs für einen der größten Windstromproduzenten Österreichs. Die Energieerzeugungsanlagen des Gebäudes decken nicht nur den Energieverbrauch des Gebäudes, sondern auch den Verbrauch der Elektroautoflotte des Unternehmens.
Eingesetzte Ressourcen sind so lang wie möglich in der Nutzung zu halten. Das bedeutet, dass Gebäude für eine besonders lange Nutzungszeit ausgelegt werden müssen (zumindest noch solange bis die Prinzipien der Kreislauffähigkeit in der Bauwirtschaft umgesetzt sind).
Dabei gilt eine Frage als weichenstellend: Welchen Bedarf haben wir als Unternehmen zukünftig? Vermutlich kann kaum eine Firmenchefin/ein Firmenchef diese Frage eindeutig beantworten. Je weiter man in die Zukunft blickt, umso verschwommener wird das Bild. Um die Gebäude und Quartiere, die wir heute bauen, möglichst über viele Generationen nutzen zu können, braucht es daher eine höhere Flexibilität. Das bedeutet, dass wir ästhetisch und nutzungsoffen planen und bauen müssen. Gebäude und Städtebau müssen, wie Dorothee Stürmer, Architektin bei B.A.S. Architektur für Büro + Stadt, erläutert, transformationsfähig sein. Mit ihrer in unserem Webinar dargelegten Analyse von Gründerzeitbauten zeigt Stürmer eindrucksvoll, wie die damalige Dichte (die heute in Neubauquartieren nicht annähernd erreicht wird) heute mit vielfältigen Nutzungen belegt ist (Retail, Wohnen, Arbeiten,…). Die im Zeitalter der Kutschen entworfenen großzügigen Straßenzüge zeigen sich so flexibel, dass der heutige Modal Split (die Wahl zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln wie Straßenbahnen, Autos, Fahrräder und zu Fuß gehen) abbildbar ist.
Die (nicht mehr ganz so) neue, mobile Arbeit ermöglicht uns Gebäude anders zu denken, Flächenbedarf neu zu bewerten und nicht jeden Quadratmeter der Vergangenheit wieder zu bauen.
Und die so freiwerdenden Budgetmittel sind mit Sicherheit mehr als Unternehmen benötigen, um in die Baustoffqualität all ihrer neuen Gebäude zu investieren. Eine aktuelle Studie von Buus Consult im Auftrag des DGNB-Systempartners in Dänemark zeigt, dass kein direkter Zusammenhang zwischen Nachhaltigkeit und Baukosten besteht. Wie immer geht es um die Auswahl der richtigen PartnerInnen, das Hinterfragen von Standardlösungen, um die offene Diskussion aller Beteiligten und um AuftraggeberInnen, die wissen was sie wollen.
Wir brauchen einen Wandel in der Art zu bauen und das benötigt ein Umdenken auf vielen Ebenen und von vielen AkteurInnen. Trotzdem sprechen wir weiterhin von Immobilien, deren Hauptmerkmal es ist, dass sie an einen Ort gebunden (also „immobil“) sind. Dies wiederum beeinflusst die Mobilität von uns Menschen.