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9.11.2020

Klimakrise: Nur so viel bauen wie wir wirklich brauchen

Wir alle wissen, dass eine Trendwende dringend erforderlich ist, um eine deutliche Reduktion unserer CO2-Emissionen zu erreichen und damit das Einhalten des 2-Grad-Limits zu ermöglichen. Der erste Artikel unserer Themenreihe „Gebäude neu denken in der Klimakrise“ zeigt die Größe der Aufgabe und den Anteil der Arbeit auf die Klimakrise. Unser zweiter Artikel gibt mit fünf Prämissen für zukunftsfähige Gebäude die Stoßrichtung vor, um von einem Teil des Problems zu einem Teil der Lösung zu kommen.

In den kommenden Artikeln werden wir nun auf Basis der fünf Prämissen (siehe Grafik unten) Lösungswege diskutieren. Dieser Beitrag widmet sich der Prämisse „So viel bauen wie wir wirklich brauchen“.

Mit diesen fünf Prämissen für zukunftsfähige Gebäude haben Unternehmen einen großen „CO2-Hebel“ in der Hand. © M.O.O.CON

Das Problem mit der Fläche

Ist New Work für Sie ein Begriff? Kennen Sie den Begründer Frijthof Bergmann und dessen Leitsatz: Es geht (in New Work) darum, „dass man weiß, was man wirklich wirklich wirklich (x3) will“. Es geht darum, was man wirklich arbeiten möchte. Denn es kommt nicht darauf an, was wir zu bewältigen haben, sondern mit welcher Haltung wir die Arbeit absolvieren. Wenden wir dieses Prinzip auf unseren Flächenbedarf an, geht es nicht darum, welchen Status oder Titel wir haben, und daher welche Büro- oder Schreibtischgröße, sondern darum, was wir wirklich brauchen, um unsere Arbeit umsetzen zu können.

Betrachten wir zunächst die Quantität. Wie viel Fläche brauchen wir wirklich? Die gebaute und genutzte Fläche ist einer der wichtigsten Hebel in Bezug auf die Reduktion unseres CO2-Fußabdrucks. Wenn Unternehmen diesen Hebel in Bewegung setzen, wird nicht nur für die Errichtung der Gebäude weniger Ressourcen und damit weniger graue Energie eingesetzt, sondern auch für den laufenden Gebäudebetrieb. Damit könnten auch versiegelte Flächen reduziert werden, die wiederum zur Verfügung stehen würden, um CO2 zu binden.

Aktueller Stand: Viel Fläche, die oftmals leer steht

Laut dem Statistischem Bundesamt des deutschen Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat betrug im Jahr 1990¹ die Wohnfläche pro Kopf in Deutschland durchschnittlich 34,8 m². 2019 sind es bereits über 12 m² pro Person mehr. Der Flächenverbrauch pro Kopf steigt mit steigendem Durchschnittseinkommen. Damit zeigt sich, dass die Fläche für Komfort und Status steht. Auch im Bürobereich zeigt sich diese Logik oft, wenn eine höhere Position im Unternehmen mit einer größeren Fläche „belohnt“ wird.

Wir können aber als einzelne Person dieses Mehr an Fläche nicht gleichzeitig nutzen. Das heißt, es entsteht Leerstand. Wir verbringen ca. 50 Prozent unserer Zeit in unseren Wohnräumen (zumeist schlafend). Betrachten wir die Auslastung unserer Büros während durchschnittlich 220 Arbeitstagen mit einer 40 Stunden-Woche, sinkt diese auf 15-20 Prozent. Somit bauen wir Bürogebäude, die zu 80-85 Prozent leer stehen!

Steigender Flächenverbrauch versiegelt unsere Umwelt

Die Baubranche boomt auch aufgrund des jahrelang anhaltenden Niedrigzinsniveaus. Der Anteil für Neubauten steigt (2010: 22 Prozent; 2018: 32 Prozent)². Und das obwohl so viel Potenzial in bereits versiegelten Flächen steckt. Wir haben laut dem Deutschen Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung mehr als 63.000 Hektar (Österreich: 9.700 Hektar³) Brachflächen, die ohne aufwändige Aufbereitung wieder nutzbar gemacht werden könnten. Das heißt mit einer erhöhten Nutzung von bereits versiegelten Brachflächen, könnten wir Neuversiegelung deutlich reduzieren.

¹ Referenzjahr für Reduktionsziele in der Agenda 2050.

² Bericht zur Lage und Perspektive der Bauwirtschaft 2020 des BBSR; um Preissteigerung und Inflation bereinigter Wert.

³ Bundesumweltamt Österreich „Wiedernutzungspotential industrieller Brachflächen in Österreich“.

 

Einige Beispiele aus den Reihen unserer KundInnen für die Nutzung von ehemaligen Brachflächen: Tabakfabrik Linz und Quartier A in Amstetten.

Slow things first! Gebäude neu denken.

Die Gebäude, die wir heute planen und bauen, müssen 2050 mit „Nearly Zero“ CO2 betrieben werden können. Und richtigerweise müssten sie für die Baustofferzeugung verbrauchte graue Energie auch zurückspielen. Dabei sollten wir bedenken, dass große Sanierungszyklen immer im 40-Jahre-Rhythmus anstehen. Das heißt bei heute gebauten Immobilien erst im Jahr 2060. „Nearly Zero“ heute nicht mitzudenken, bedeutet heute bereits absehbare Sanierungskosten bewusst in Kauf zu nehmen.

Bernhard Herzog, Partner bei M.O.O.CON

Die Gebäude, die wir heute bauen, werden noch in 30 bis 50 Jahren einen Einfluss auf die Umwelt ausüben, selbst wenn keine Verbrennungsmotoren mehr auf der Straße fahren und wir weitgehend VegetarierInnen sind.

Effizienzsteigerung reicht nicht aus

Die vergangenen zehn Jahre waren durch Effizienzsteigerungen geprägt. Die Reduktion der Wärmeverbräuche durch entsprechende Vorgaben hat pro Quadratmeter eine erhebliche Verbesserung bei Neubauten erzielt. Bei einem steigenden Verbrauch an Fläche verpufft dieser Gewinn allerdings. Dies zeigt sich in der absoluten Zahl des Endenergieverbrauchs im Gebäudesektor. Seit 2010 erzielen wir keine nennenswerten Einsparungen mehr⁴. Es kann also nur das Ziel sein den Bedarf der Neubauflächen zu minimieren. Wir glauben, dass dies richtig gedacht einen Gewinn an Komfort bedeuten kann. Aber wie können wir den Bedarf nach immer mehr Flächen maßgeblich reduzieren?

⁴ Dena Gebäudereport 2018

Flächenverbrauch reduzieren – aber wie?

Mobiles Arbeiten nutzt viele Orte

Nicht nur aufgrund der aktuellen Herausforderung, einen angemessenen Umgang mit der Pandemie zu finden, denken derzeit viele Unternehmen über die Optimierung ihrer Büroflächen nach. Ein Großteil der Unternehmen will auch in Zukunft stärker auf das Arbeiten an alternativen Arbeitsumgebungen (z.B. Home Office, Third Places) setzen, da dies nach der Erfahrung der letzten Monate auch von den MitarbeiterInnen verstärkt eingefordert wird. Laut unserem Whitepaper zur Arbeitswelt nach Corona steuern die meisten Organisationen eine Vereinbarung über ca. zwei Tage Home Office pro Woche als Bestandteil der neuen Normalität an. Dann für die verbleibenden Tage noch jeder bzw. jedem MitarbeiterIn einen persönlich zugewiesenen Schreibtisch zu bieten, ist jedenfalls in Frage zu stellen.

Damit wird das Büro der Zukunft einen stärkeren Fokus auf das Zusammentreffen der MitarbeiterInnen haben und entsprechend auch im Flächenangebot anzupassen sein. Doch wie Frank Berzbach in unserer Webinar-Reihe „Gebäude neu denken in Zeiten der Klimakrise“ angemerkt hat, haben Unternehmen auch in Zukunft die Verantwortung für ihre MitarbeiterInnen eine geeignete Fläche bereitzustellen. Zudem gilt es die Menschen bezüglich des Wechsels zwischen verschiedenen Arbeitsorten zu unterstützen.

Die ExpertInnen sind sich darin einig, dass sich mit Fortschreiten der Digitalisierung das Büroumfeld noch weiter ändern wird. Die Automatisierung der Büroarbeit wird ähnlich wie die Automatisierung in den Fabriken viele heutige Prozesse in den Unternehmen verändern. Ob diese Veränderung immer mit einer Flächenreduktion einhergehen wird, kann nicht für alle Unternehmen pauschalisiert werden. Hier gilt es die Veränderung als Chance wahrzunehmen und verschiedene Faktoren, inwiefern eine Umgestaltung, eine Reduktion oder auch eine Neuinterpretation der Fläche Sinn macht, zu betrachten.

Wichtig jedoch für alle Organisationen ist, dass bei der Reduktion der Büroflächen weiterhin ein für das neue Umfeld optimale Infrastruktur zur Verfügung steht – aber eben für die neue Art zu Arbeiten!

Katharina Schwalbe, Consultant bei M.O.O.CON

Allein die Reduktion der Bürofläche durch Arbeiten im Home Office ist zu kurz gedacht. Notwendige Fläche und emissionsauslösende Verbräuche werden dadurch lediglich an einen anderen Ort verschoben. Das leistet noch keinen wesentlichen Beitrag zur Bewältigung der Klimakrise.

Selbstbestimmt den Ort der neuen Arbeit gestalten

Es braucht also mehr – vor allem braucht es mehr Bewusstsein über die Auswirkungen unseres Handelns, um eine Veränderung unserer Verhaltensweisen zu ermöglichen.

Aktuell erleben wir: Die Freiheit im Arbeitsleben nimmt zu. Wir können mehr und mehr selbst bestimmen, wie, wann und wo wir arbeiten. Und das ist auch wichtig, da mit wachsendem Einfluss der Digitalisierung die Bedeutung kreativer Prozesse zunimmt. Kreativität entsteht nicht nur am Schreibtisch, sondern oft in unerwarteten Momenten und nicht selten mit themenfremden Personen. Dieses Verschwimmen der Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit stellt für das Büro der Zukunft eine neue Herausforderung dar.

Die Entwicklung geht „weg vom Abarbeitungsort hin zum Flagshipstore“ (Sabine Zinke). Die Menschen brauchen einen Grund, um ins Büro zu fahren und dieser liegt nicht nur in der Geselligkeit. „Wenn wir in einer schönen und damit attraktiven, authentischen und zum Unternehmen passenden Umgebung arbeiten, hat das fundamentalen Einfluss, auf das, was wir leisten können.“ (Frank Berzbach).

Eine attraktive Arbeitswelt lässt bei den MitarbeiterInnen ein Gemeinschaftsgefühl entstehen. Am besten entsteht dieses Gefühl der Zugehörigkeit durch Partizipation. Gemeinsam – und mithilfe eines definierten Ziels aus einer Nachhaltigkeitsstrategie – eine Lösung für die neue Bürolandschaft zu finden, ist ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg. Dann werden beispielsweise „verpönte“ Desksharing-Konzepte zu einer logischen Folge der selbstbestimmten Arbeit. Das Ganze funktioniert nur, wenn die Unternehmenskultur der Selbstbestimmung genügend Raum gibt.

Julia Merdzanic, 
Consultant bei M.O.O.CON

Diese neuen Konzepte müssen in einen emotional wirksamen Kontext eingebettet und gemeinsam mit den MitarbeiterInnen gestaltet werden. Nur zusammen lässt sich auch eine nachhaltige Kultur implementieren.

Orte gemeinsam nutzen

In kaum einem größeren Unternehmen kann man Büroarbeit so hemdsärmelig denken wie in vielen Co-Working Spaces: Infrastruktur wird geteilt und auch Zusammenarbeit und Gemeinschaftsbildung passiert über Unternehmensgrenzen hinweg. Damit ergeben sich Synergien und neue Ideen für eine komplexe Zeit. Abendveranstaltungen in der Bürofläche oder nach außen offene Verpflegungs- und Kommunikationsflächen sind nur zwei Beispiele von vielen Varianten multifunktionaler Nutzung.

Alte Industrie in neuem Gewand: Der Markhof in Wien.

Und vielfach entstehen Co-Working Spaces in Bestandsobjekten wie beispielsweise einem alten Industrieloft. So gestaltet sich eine völlig andere Atmosphäre mit ganz neuen Möglichkeiten: weniger Grenzen und Regeln und dafür mehr Mut und Gründergeist. „Arbeite im Dorf in der Stadt“ (Stefan Leitner-Sigl, Referent in unserer Webinar-Reihe „Gebäude neu denken in Zeiten der Klimakrise“).

Diese Synergien schaffen Qualität und sparen Fläche. Und die Atmosphäre im Industrieloft ist näher an der Kreativität der Garage als an der starren Bürolandschaft mancher Großkonzerne. Vor allem aber spart sie die Ressourcen der Neuerrichtung – nutzt bestehende Strukturen.

Fazit

Wer will, dass die Welt so bleibt wie sie ist, der will nicht, dass sie bleibt. (Erich Fried)

Unsere Arbeitswelt ist im Wandel und steht vor einem wichtigen Evolutionsschritt. Unternehmensgrenzen werden fluider. Es geht immer stärker um Austausch – innerhalb von Organisationen und über ihre Grenzen hinweg. Dies muss und wird sich auf die Räume auswirken, die wir nutzen. Das Büro 2050 wird ein anderes sein als wir es heute kennen. Flexible Community Hubs, die viele Raumbedürfnisse erfüllen, werden die üblichen großflächigen „Büroburgen“ ersetzen.

Zusammenfassend halten wir fest:

  • Mobile Work verändert unseren Zugang zu Arbeit und Fläche.

  • Das Büro wird ein Ort der Identitätsbildung und des Zusammenkommens.

  • Veränderung der Flächenansätze geht in partizipativen Prozessen mit klarem Fokus auf Nachhaltigkeit.

  • Das Büro 2050 geht in Richtung multifunktionale Raumnutzungen und Öffnung der eigenen Flächen für andere NutzerInnen.

  • Die Abbildung des Neubedarfs gelingt auch in bestehenden Gebäuden. Und das ist die Chance für einen atmosphärischen Mehrwert gegenüber dem Neubau.

Dies sind Flächenansätze für zukunftsfähige Gebäude, die der Agenda 2050 entsprechen.

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