Eines unserer Vorzeigeprojekte für kollaborative Quartiersentwicklung ist das Quartier A in Amstetten. Dort entsteht gerade – auf einem nicht mehr in der ursprünglichen Nutzung benötigten Betriebsgelände am Bahnhof – eine neue Arbeits- und Wohnwelt, die alle Lebensbereiche abdecken wird. Menschen werden dort leben, lernen, forschen, entwickeln und Unternehmen und Familien gründen.
Harry Gatterer: Zukunftsentwicklung gelingt nicht dann, wenn jemand eine neue Technologie erfunden oder wenn jemand ein sogenanntes „Landmark“ Gebäude errichtet hat. Das ist die Vergangenheit. Heute heißt Zukunftsentwicklung, dass man Lösungen für die Vernetzung und „Erlösungen“ für die Komplexität entwickelt. Genau das passiert aus meiner Sicht in Amstetten.
Das Quartier A ist in gewisser Weise bemerkenswert, weil es urbanes Denken in die Provinz bringt. Wir haben im Zukunftsinstitut den Begriff der „progressiven Provinz“ geprägt. Das hat den Hintergrund, dass ganz viele Innovationen in der Art und Weise wie Menschen Lebensräume gestalten, tatsächlich aus Regionen kommen können. Sie haben zwar vielleicht schwierigere Grundvoraussetzungen, weil sie klein sind, aber auch Vorteile durch die Regionalität, die Kleinheit und die Geschwindigkeit, die sie an den Tag legen können im Vergleich zu großen Städten. Sie können modern denken.
Es ist erfreulich Regionen-Initiativen zu sehen, die erkannt haben, dass man etwas tun muss, wenn man möchte, dass Menschen hier gerne leben und arbeiten. Projekte wie das Quartier A helfen den Menschen sich nicht ausgeschlossen zu fühlen von all der Urbanität einer Großstadt. Sie setzen sogar einen bewussten Impuls in diese Richtung.
Das Quartier A ist Ausdruck einer Trendentwicklung – es ist nicht das erste und einzige kollektive Quartiersprojekt dieser Art in Österreich. Vorbild soll und kann es vorrangig in der Region sein, in der es stattfindet. Darüber hinaus sollte man sich meiner Meinung nach nicht den Kopf zerbrechen. Es als Best Practice zu inszenieren würde das Projekt und seine Beteiligten zu einem Showcase degradieren. Das wäre furchtbar, denn es ist viel mehr als das. Sobald man das tut, denkt man wieder im „Landmark“. Und wie schon gesagt – damit wird nichts gelöst. Wenn andere davon lernen wollen, werden sie es tun. Man lernt meist nicht von den Dingen, die zum Lernen gemacht wurden. Man lernt von den Dingen, wo echte Probleme gelöst wurden und wo Leidenschaft sichtbar geworden ist.
Alles hat mit der Bedeutungsaufladung des Tourismus und der Lebensmittelbranche mit Regionalität begonnen. Doch Regionen verstehen sich mehr und mehr auch als Lebensregionen. Wenn man es gut macht und die „coolen“ Dinge aus der Stadt aufs Land bringt, bedeutet das, die Menschen fühlen sich nicht mehr abgeschottet vom modernen Leben. Sie müssen nicht mehr in die Großstädte abwandern.
Regionen haben den Vorteil, dass sie schon eine bestimmte Lebensqualität haben – sie müssen nichts künstlich aufbauen, vieles ist einfach schon da. Und das ist wichtig, denn Lebensqualität kann man nicht planen. Städte, die das versucht haben – wie die brasilianische Hauptstadt Brasilia, die als Planstadt einfach mitten in den Dschungel hineingebaut wurde – leiden heute noch unter ihrer fehlenden Identität und Qualität.
Ein Beispiel, wo man gerade eine positive Entwicklung beobachten kann, ist Judenburg. Hier ist noch nicht die komplette Trendwende geglückt, aber durch die Investments von Red Bull in der Region spürt man schon, dass sich dort etwas tut.
Ich würde sagen die Konnektivität ist der Schlüssel. Er ist sowieso der wirkungsstärkste Trend unserer Zeit. Das Prinzip der Vernetzung mit der Welt ist der größte Hebel für Projekte wie das Quartier A. Und auch der Megatrend Mobilität spielt eine Rolle. Und da meine ich nicht nur Fortbewegungsmittel aller Art, sondern auch die Auswirkungen von Mobilität auf unserer Arbeitsabläufe und Arbeitsplätze. Wir sind zunehmend digital, vernetzt und individuell unterwegs.
Abgesehen vom tieferen Verständnis dieser Megatrends für die Region, braucht es aus meiner Sicht auch die passende Struktur, die Zusammenarbeit von verschiedenen Menschen vor Ort damit Quartiersentwicklungen möglich sind. Die Schwierigkeit ist hier und da mit Sicherheit, dass man gegen Egoismen und alteingesessene Machtstrukturen erst einmal ankommen muss. Da braucht man einen langen Atem. Ich sage immer: Die Bewusstseinsarbeit obliegt denen, die das Bewusstsein haben. Aber grundsätzlich denke ist, dass Menschen, sich entwickeln bzw. verändern können, wenn sie merken, dass sie selbst von dieser Entwicklung profitieren.