Omar und Kim haben einen Workation-Trip mit der Arbeitscrew vorgeschlagen. Ich gebe offen zu, mir war das Konzept bisher nicht so geläufig. Workation, erklären mir die beiden, ist die Idee, gemeinsam an einem schönen Ort im Flow zu sein, aber auch ein Ziel zu verfolgen, das wir vorab gemeinsam definieren. Wir einigen uns darauf, die Zeit für unsere Erholung und auch für kreative Recherchearbeit zu neuen Projektideen zu nutzen. Darüber möchten wir uns dann austauschen.
Wir haben dafür die perfekte Location gefunden: ein großes Haus am Meer mit felsiger Küste und schattigen Pinienbäumen, so wie ich es liebe. Sie ist gut mit dem Nachtzug zu erreichen. Die ersten Tage tauche ich völlig in meine Artikel über Bionik ab. Ich wollte mich schon seit Wochen auf den neuesten Stand bringen. Wir kochen abends zusammen, Omar packt später seine Gitarre aus. Plötzlich springen meine Gedanken zur Arbeit: „Leute, ich glaube wir müssen unsere Vision umdenken! Wir könnten noch viel mehr Impact haben, wenn wir auch Meeresgezeiten bei unserer Produktentwicklung mitdenken. Das wird die zuverlässigste Wasserkraft der Zukunft, vor allem, wenn es mit der Klimakrise so weitergeht!“
Wir diskutieren hitzig bis in die Nacht, ich spüre förmlich die elektrisierende Wirkung unserer brodelnden Köpfe. Manche lassen sich nur schwer überzeugen, Kim z.B. hat eine völlig andere Einschätzung und setzt auf Windkraft, für die es außerdem schon ausgefeilte Technologien gibt. Wir beschließen morgen weiterzudenken, genau diese Dynamik erweitert unseren Horizont. Ich hole uns euphorisch eine Runde Bier. Kim erinnert sich, dass heute Perseidennacht ist. Auf Liegestühlen postiert, suchen wir den Himmel nach Kometen ab, es ist überwältigend schön. Kichernd hebt Omar seine Flasche: „Auf unsere Workation! Funktioniert doch ganz gut, meint ihr nicht?“
Der Kindergarten hat zu und mein Partner ist gestern mit Ada, unserer Jüngsten, zu seinen Eltern gefahren. Irma und ich sind also auf uns gestellt, und ohne Betreuungsstrukturen gibt es Einiges zu jonglieren. Den Vormittag kriege ich zwar im Home Office mit der Betreuung ganz gut hin, sie ist ja schon groß, aber ich brauche in dieser Projektphase auch unbedingt direkten Austausch mit meinen Team-Kolleg:innen. Ich musste mich ziemlich überwinden zu fragen, ob ich deswegen Irma diese Woche nachmittags mit ins Office nehmen kann. Die große Offenheit war eine riesige Erleichterung.
Als wir ankommen, wird Irma gleich von Amanda an der Hand genommen. Es ist schön, dass wir uns so aufeinander verlassen können, nicht nur in professioneller, sondern auch in freundschaftlicher Hinsicht. So ein Miteinander ist keine Selbstverständlichkeit. Wir arbeiten im Team alle viel daran diese wertvolle Basis miteinander aufzubauen. Ich habe nicht mal Zeit meiner Tochter zu zeigen, in welchem Projektraum ich heute arbeiten werde, und ihre Malsachen herauszurichten. Es ist sehr lustig, die beiden miteinander in der Sitzlandschaft unseres Design-Labors herumturnen zu sehen. Eigentlich könnte ich Amanda fragen, ob sie abends mit uns auf eine Pizza mitgehen möchte. Wie es wohl mit ihrer Mutter nach der Reha weitergehen wird?
Ich schätze sehr, dass in meinem Leben Arbeit und Freizeit weitgehend voneinander getrennte Sphären sind. Zuhause bin ich engagierter Familienvater und leidenschaftlicher Gärtner, im Büro gehe ich dafür völlig in meiner Funktion als Verantwortlicher für die Lagerlogistik auf. Wenn ich das Haus verlasse, um zur Arbeit zu gehen, beginnt ein anderes Universum. Mir persönlich hilft diese Trennung sehr, um mich völlig auf meine jeweilige Rolle und die Aufgaben, die damit verbunden sind, einzulassen.
Das heißt jetzt nicht, dass ich meine Familie gänzlich vom Arbeitsplatz verbanne. Ich habe mir zum Beispiel am Schreibtisch unseren Schnappschuss vom letzten Sommerurlaub aufgestellt, und die kleine Töpferschale meines jüngsten Sohns. Und bin natürlich offen gegenüber Fragen von Kolleg:innen zu meinem Privatleben, solange sie nicht indiskret sind. Bernadette habe ich etwa neulich in der Kaffeepause einige Bilder von den Tomatenstöcken gezeigt. Vielleicht könnte ich sie zum Einkochen der heurigen Tomatensauce einladen. Solang wir nicht zu viel über Arbeit reden. Dank der Abgrenzung zwischen Arbeit und Freizeit fällt es mir auch leicht, den Job jeden Tag wieder hinter mir zu lassen. Pünktlich um 16 Uhr einfach die Bürotür zufallen lassen, kein Diensthandy mithaben, aus der Manager-Rolle wie aus einem Mantel schlüpfen und sich in der Familien-Rolle einfinden, um die Kinder abzuholen. So mag ich es.
Ich greife zum Handy, um meine Freundin anzurufen. Leider wird aus unserem heutigen Kinoabend nichts, im Headquarter läuft die Finalisierung des Jahresberichts auf Hochtouren. Es müssen ein paar Auswertungen neu gemacht werden. Ich kann mich schwer für mein Privatvergnügen verabschieden, während sich alle anderen voll ins Zeug legen. Klara zeigt sich verständnisvoll, wir haben diese Verabredung schon einmal verschoben, weil sie einen Kollegen bei einem Fundraiser-Dinner vertreten musste. Momentan ist einfach bei uns beiden viel los. Den Ausgleich holen wir uns dann schon irgendwie zurück.
Ich schicke unseren Praktikanten durchs Office, um Bestellungen für das asiatische Take-away unseres Vertrauens aufzunehmen. Auf leeren Magen halten wir diesen Rhythmus sonst nicht durch, und es braucht jetzt diesen letzten Push für die Einhaltung der Deadline. Leicht zittrig und euphorisch verlassen wir nach dieser intensiven, aber erfolgreichen Arbeitssession das Headquarter. Die Luft ist angenehm abgekühlt, wir stehen am Vorplatz und beraten, wohin wir noch auf einen Drink gehen könnten. Ich schicke Klara eine Voice-Message und schlage ihr vor nachzukommen. Sie versteht sich auch ziemlich gut mit meinen Arbeitskolleg:innen. Ich habe sie gleich von Anfang an auf unsere Firmenevents mitgenommen, und sie ist auch ein tragendes Mitglied unserer Office & Friends Radgruppe. Das wird sicher noch eine nette Abschlussrunde.
Das Verhältnis von Arbeit und Freizeit ist in den vier Arbeitswelten jeweils sehr unterschiedlich ausgeprägt.