Die Corona-Krise löst die unterschiedlichsten Ängste aus. Das hat sie gemeinsam mit der letzen großen Krise, der Flüchtlingsbewegung 2015. Als dieses Gespräch geführt wurde, wusste noch niemand von Covid-19. Wir haben in der Redaktion diskutiert, ob jetzt ein Gespräch zum Thema Migration nicht völlig deplaziert wirkt. Aber wir haben spannende Parallelen entdeckt. Es geht in beiden Fällen auch darum den Umgang mit der Angst zu lernen. Denn auch die Fluchtbewegungen lösten zu allererst einmal Ängste – sowohl bei den Schutzsuchenden wie in den Aufnahmebevölkerungen – aus.
Was sind die Hintergründe für diese angstbesetzten Reaktionen und was bedeutet das für Manager? Herbert Zitter, Partner bei M.O.O.CON, hat den Pastoraltheologen Paul M. Zulehner und die Sozialexpertin Barbara Harold zur gemeinsamen Reflexion eingeladen, um Hintergründe und Handlungsspielräume auszuloten. Vorangestellt sind drei Fragen, die wir dieser Tage Paul Zulehner und Herbert Zitter zur aktuellen Situation rund um Covid-19 gestellt haben.
Moderation und Text: Irene Kernthaler-Moser. Fotos: Jürgen Sturany.
Das sind zwei Mega-Challenges – es kommt aber noch eine dritte dazu: die Klimakrise. Diese wird an Dimension alle bisherigen noch weit übertreffen. So lohnt es sich, aus den beiden jetzigen Krisen zu lernen. Gemeinsam ist diesen, dass sie die ganze Welt betreffen. Migration findet auf allen Kontinenten statt. Eben dasselbe gilt– wie der Name sagt – für die Pandemie. Das griechische Wort bedeutet „alle Völker“ der Erde sind betroffen. Wir lernen, dass wir als Menschheit alle in einem sinkbaren Boot sitzen. Der Unterschied beider Krisen liegt im Auslöser. Bei der Herausforderung der Migration und der Flucht sind Menschen die Hauptverursacher – was für Kriege, Armut, aber auch für die Klimaflüchtlinge indirekt zutrifft. Bei der Pandemie haben wir es hingegen mit einem gesichtslosen Virus zu tun, der nicht einmal ein richtiges Lebewesen ist.
Die Gesichtslosigkeit führt auch zu den diffusen Reaktionen und Emotionen. Das Empfinden und die Perspektiven der Menschen reichen von den globalen Szenarien für die zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten der Gesellschaft bis hin zur individuellen Aussichtslosigkeit. Die Betroffenheit von Menschen und Unternehmen ist jedenfalls direkter und unmittelbarer als zur Flüchtlingkrise.
Auf der einen Seite haben nicht wenige Angst um ihre Angehörigen, vor allem die Älteren. Es bedrückt unendlich, dass manche sterben ohne den Beistand ihrer Liebsten. Auch die Begräbnisse finden im kleinen Kreis statt. Aber die Pandemie wird uns auf der anderen Seite sozial- und wirtschaftspolitisch über Jahre hinaus enorm fordern. Es darf nicht sein, dass Einpersonenunternehmen, freiberufliche Künstlerinnen und Künstler, kleine Betriebe sterben und Großkonzerne überleben.
Es ist unzulässig, dass die Schulden vor allem mit den Steuern der kleinen Leute abgebaut werden, mit dem Schuldenabbau aber auch die Bildung leidet und der Sozialstaat dazu. Davor fürchten sich viele Menschen zu Recht.
Dagegen hilft nur eine weitsichtige und gerechte, international sensible, Sozial- und Wirtschaftspolitik. Es wäre arglistig, wenn Parteien, die keine Lösung haben, jetzt mit den zusätzlichen Ängsten der Menschen spielen und diese zu wahltaktischen Manövern missbrauchen. Und auf einer individuellen Ebene braucht es neben all den berechtigten Ängsten auch das Wissen um die Urangst und deren Bestehen durch Zugang zum Urvertrauen. Das gilt für die Angst vor Flüchtlingsgesichtern und die gesichtslose Corona-Virus-Angst.
Zu den großen, großen Zugewinnen der Krise zählen bislang eine neue Nachdenklichkeit über Prioritäten in einem endlichen und verwundbaren Leben sowie Anzeichen von intergenerationeller und auch transnationaler Solidarität, obgleich ich mir nicht sicher bin, dass sie auch nach dem Sieg über das Virus anhalten werden. Historische Beispiele ermutigen nicht gerade. Nach der mittelalterlichen Pestzeit kam das lebenslustige Barock und die Menschen machten weiter wie bisher. Und Albert Camus schrieb in seinem heute wieder vielgelesenen Roman „Die Pest“: „Was für die Übel dieser Welt gilt, das gilt auch für die Pest. Das kann ein paar wenigen dazu verhelfen, größer zu werden.“ Aber eben nur ein paar wenigen!
Aber es zeigen sich immerhin Risse im neoliberalen Ökonomismus. Die Lust an der Deregulierung ist einer neuen Wertschätzung eines sozial verantwortlichen Staates gewichen. Die Regierenden merken auch, dass es gut ist, national ihren Job gut zu machen, dass es aber ohne transnationale Solidarität überhaupt nicht geht. Viren respektieren eben keine nationalen Grenzen. Es schadet natürlich allen, wenn die von der Flüchtlingskrise schon angeschlagenen Wirtschaften Italiens, Spaniens und Griechenland kollabieren. Ich verstehe den Satz der Bibel heute sehr profan: „Wenn darum ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit“ (1 Kor 12,26).
Die aktuelle Taktung von Krisen, die eine globale Auswirkung haben, wird enger. War die Bedrohung des kalten Krieges gegen Ende des 20. Jahrhundets ein Dauerszenario, so sehen wir 9/11, die Finanzkrise 2009, die Flüchtlingsbewegung 2015, Corona 2020 und anstehend die Klimakrise als Kummulation. Die Atomschutzbunker verrotten mittlerweile, die Sicherheitsauflagen bei Flügen sind noch da, die Zugänge zu Finanzierungen sind mit Auflagen belegt, der Nationalismus blüht noch immer bedrohlich und die Szenarien, welche Reaktionen auf diese Krise anstehen, sind offen.
Unternehmen versuchen sich anzupassen, stecken entweder noch in alten linearen Strukturen oder liebäugeln mit den neoliberalen Chancen. Es zeigen sich Risse, ja. Das Zukunftsinstitut zeigt vier Szenarien im Achsenkreuz von "lokal - global" und "pessimistisch - optimistisch" auf: Isolation (alle gegen alle), Neo-Tribes (Rückzug ins Private), Adaption (resiliente Gesellschaft) und System Crash. Neben den unterschiedlichen Auswirkungen auf Urbanisierung, Mobilität, Sicherheit und Gender Shift, ist der Effekt auf Neo-Ökologoie und New Work besonders, weil sie die Entwicklung der Arbeit als Erwerbsarbeit und der Arbeitswelt selbst je nach Szenario mit sehr unterschiedlichen Aussichten versieht. Die gemeinsame Betroffenheit, die gemeinsamen, sehr individuellen und damit authentischen Ängste, bergen die Chance auf eine positive Veränderung!
Bei der Flüchtlingsfrage zeigen verschiedene Studien immer ein ähnliches Bild: Rund 20 Prozent der ÖsterreicherInnen ärgern sich über Flüchtlinge, 25 Prozent sind zuversichtlich, dass die Aufnahme gelingen wird und dazwischen steht eine große Zahl an besorgten Menschen, die in ihrer Meinung schwankend sind. Bei meiner Forschung hat mich interessiert, wie Menschen in ein und demselben Land zu so unterschiedlichen Gefühlen kommen können. Auf einer HTL in Braunau hat eine Schülerin mit ihrer Antwort den Nagel auf den Kopf getroffen: „Das ist schon längst in diesen Menschen vorentschieden, bevor ein Flüchtling kommt.“ Genau das war meine Forschungsfrage: Wo kommt diese Angst her?
Ich habe bei der Tiefenpsychologin Monika Renz aus St. Gallen eine spannende Antwort gefunden. Monika Renz vertritt die These, dass die Geburt für den Menschen die Vertreibung aus dem Paradies „Mutterschoß“ ist. In dem Moment, wo wir diese Geborgenheit verlassen, sind wir in einer fremden Welt und das ist das Einfallstor einer Urangst in das menschliche Leben. Wenn Kinder das Glück haben, mit elterlichen Menschen groß zu werden, dann gelingt es, dem Chaos der Angst festes Land des Vertrauens abzugewinnen. Viele Menschen haben dieses Glück und werden in den ersten Lebenswochen und -jahren trittfest. Diese Menschen sind deshalb – laut Renz – in der Lage zu glauben, zu hoffen und zu lieben.
Und was ist, wenn jemand nicht das Glück eines vertrauensbildenden Elternhauses vorfindet? Dann – so Renz – verteidigen sich diese Menschen ein Leben lang gegen ihre eigene Angst. Sie projizieren die Angst nach außen und greifen zu den „Selbstverteidigungsstrategien“ Gewalt, Gier und Lüge. Die Lösung kann jetzt nicht darin bestehen, gegen Gewalt, Gier oder Lüge im Detail zu kämpfen, sondern die Wurzel dieser drei Selbstverteidigungsstrategien trocken zu legen. Und das bedeutet, dass wir an der Heilung der Angst arbeiten müssen. Dann kann sich ein Raum für eine Kultur des Vertrauens auftun.
Diese „Vertreibung aus dem Paradies“ erinnert mich an einen Dokumentarfilm über das Aufwachsen von Kleinkindern auf unterschiedlichen Kontinenten. Das afrikanische Kind wurde ständig im Tuch mitgetragen; das mongolische Kind nuckelte in seinem Steckkissen an einem fettigen Fleischstück und das amerikanische Kind wurde von Babyschwimmen bis zur Kleinkindgymnastik von A nach B gezerrt. Das Kind der westlichen Kultur hat immer geschrien. Die Kinder, die am längsten ganz nahe bei der Mutter waren, waren am entspanntesten, denn es ist durch Kontakt ganz viel Vertrauen gewachsen.
Vertrauen schafft Trittfestigkeit. Vertrauen ist das Grundkapital gegenüber der Angst. Unsere Kultur ist heute nicht vertrauensbildend, sondern fördert Ängste eher. Und dann werden diese Ängste auch noch politisch bewirtschaftet. Es überrascht mich nicht, dass so viele Menschen heute Ängste haben, wie sie mit ihrem Leben fertig werden. Das Verrückte daran ist, dass es auch die Reichen und die Gebildeten erfasst.
Auch die Gebildeten waren einmal Kinder, die Sicherheit brauchten. Diese erste Lebensphase ist entscheidend für die Entwicklung des Menschen. Es gibt in Wien den Verein Grow Together, der sehr junge Mütter in schwierigsten Lebenssituationen und ihre Babys in den ersten beiden Lebensjahren engmaschig begleitet. Dadurch entsteht so viel Vertrauen zwischen den betreuenden Personen, die aus unterschiedlichen Berufen kommen, und den Müttern, dass diese sich entspannen und die Kinder sich gut entwickeln können. Diese Investition zu Beginn des Lebens rechnet sich auch. Die Wirtschaftsuniversität hat bei diesem Projekt einen Return on Social Investement von 22 ausgerechnet, normalerweise ist man mit dem Faktor 3 schon zufrieden.
Die entscheidende Grundmauer für eine positive Aussicht schaffe ich mit der Beantwortung der Frage: Mit wieviel Wärme entlasse ich ein Kind ins Leben?
Es geht aus meiner Sicht um die Möglichkeiten der positiven Identifikation. In je mehr Rollen ich mich als Hinzugezogener auch als ÖsterreicherIn erleben kann, weil es für mich eine Identifikationsmöglichkeit gibt, desto mehr fühle ich mich willkommen.
Es ist interessant, dass die Erstgeneration der MigrantInnen eine deutlich höhere Chance sieht, sich kulturell zu integrieren, als die Folgegeneration.
Ich habe in Kanada erleben dürfen, wie schnell Menschen sich als KanadierInnen identifizieren, auch wenn sie erst kurz im Land sind. Sie müssen sich allerdings meistens keine Sorgen darüber machen, das Land wieder verlassen zu müssen.
Es gibt für mich noch einen ganz anderen Aspekt: Meine Großmutter – deren Leben nicht immer rosig war – hat sich nach eigenen Angaben immer noch Chancen auf das Glück im Himmel ausgerechnet. Heute sind wir in die Enge des diesseitigen Lebens so hineingepfercht. Das erzeugt die Angst, zu kurz zu kommen. Wir werden zurzeit kulturell nicht nur in eine Kultur der Angst getrieben, sondern auch zu einer europäisch noch nie dagewesenen Diesseitigkeit verurteilt.
Ich glaube, dass eine Offenheit für das Jenseitige solidarischer macht. Nur im Diesseits zu leben, erzeugt eine Kultur der Rivalität, wenn die Mittel knapp werden.
Die Begrifflichkeit von diesseitiger und jenseitiger Wahrnehmung fordert mich jetzt heraus: Wir sprechen aktuell von einer Generation, die niemals auf der untersten Ebene der Maslowschen Bedürfnispyramide eine Auseinandersetzung hatte. Diese Generationen – ich spreche jetzt von mir und meinen Kindern – hat also nie erlebt, dass sie kein Essen und keine Kleidung hat und jetzt auf einmal haben manche von ihnen Angst davor, dass sie kein Essen und keine Kleidung haben könnten.
Diese Angst ist sehr diffus, denn sie wissen eigentlich nicht, wovon sie sprechen. Das macht es leichter möglich, diese Unsicherheit auch zu bespielen, weil sie nicht erlebt wurde. Es handelt sich um eine diesseitige Betrachtung, aus einer luxuriöseren Haltung heraus, die die jenseitige Realität der Flüchtlinge gar nicht nachvollziehen kann. Ich weiß nicht einmal, was ich auslöse, weil ich nie erlebt habe, was es bedeutet, nichts zu essen zu haben, kein Heimatland oder den Tod in meiner Nähe zu spüren.
Noch einmal zurück zur Diesseitigkeit: Marianne Gronemeyer hat dazu ein Kultbuch geschrieben: „Das Leben als letzte Gelegenheit“ . Das hat mir sehr eingeleuchtet. Neben den sozialen Abstiegsängsten, den biografischen Ängsten, den kulturellen Ängsten – das sind die drei großen, vertrauten Angstströme – gibt es auch interessanterweise eine sehr starke Angst, nämlich in diesem Leben zu kurz zu kommen.
Früher hat man der Religion vorgeworfen, sie würde den Menschen auf das Jenseits vertrösten. Die Kultur heute vertröstet den Menschen auf das Diesseits, der muss jetzt das Paradies auf Erden „ernötigen“. Und das ist eine der Quellen, warum wir soviel Rivalität fürchten, weil dann der Andere sofort meines Versuch gefährdet, in minimaler Zeit optimales Glück zu erreichen.
Diese komische Kultur der Rivalität ist für mich eine der dramatischsten Begleiterscheinungen der tiefsitzenden und ungezähmten Ängste. Ich glaube, dass man Angst weder über eine durchaus wünschenswerte „Politik des Vertrauens“ noch über breite Bildung beruhigen oder heilen kann. Wir gehen vielmehr in eine Zeit, wo das Thema der Heilung ansteht. Papst Franziskus und andere Theologen sagen, dass das Wunder darin besteht, dass Jesus zu uns sagt: „Ich möchte dich von deinen tiefen Ängsten heilen, vor der Angst vor dem Tod, und dann kannst du Mensch werden.“ Die Botschaft des Christentums ist keine andere, als eine Anleitung zur Menschwerdung durch Heilung und nicht durch Moralisieren. Ich traue dem Moralisieren nicht.
Das ist sehr schön...
Sie sind mir auch so sympathisch, weil Sie die Verantwortung und die Relevanz des aktuellen Verhaltens in diesem Leben unbedingt thematisieren...
Es soll jetzt gutgehen. Es soll jetzt Gerechtigkeit geben. Es soll jetzt Frieden geben. Das Christentum ist eine Botschaft für dieses Leben hier auf Erden, genauso wie übrigens der Buddhismus auch eine Ethik für dieses Leben ist. Da konvergieren heute die Religionen. Auch der Islam ist in seinem mystischen Kern eine absolute Liebesreligion.
In meinen Führungskursen habe ich immer darauf geachtet, an einer Spiritualität des Change zu arbeiten. Ich habe das Possibilismus genannt und meine damit: Gestaltung ist möglich, wenn wir uns investieren, angstfrei, und wenn wir eine Vision haben, die uns zeigt, wo wir hinwollen.
Ich finde es wichtig, den Possibilismus als Unternehmensverantwortlicher dann auch zu kommunizieren. Also in Veränderungsprozessen auch Präsenz zu zeigen.
Und ich glaube, das geht besser über Rituale als über Bildungsvorgänge. Ich traue den Ritualen mehr, weil nur die Rituale die Tiefe der Seele erreichen, das Denken leider nicht.
Ich überlege jetzt, was ich mit Ihren Ritualen mache...
Rituale heißt, sich in der spirituellen Tiefe der Person zu verbünden mit anderen. Staunen, Dankbarkeit, das sind spirituelle Rituale, im besten Sinn des Wortes Wahrnehmungen. Alle Buddhisten geben Ihnen den Rat im Heute, im Hier und Jetzt zu leben. David Steindl-Rast oder auch Anselm Grün wären diesbezüglich eine gute Literatur für Führungskräfte. Alles was Vertrauen fördert, würde ich einer Führungskraft empfehlen.
Viele Wirtschaftstreibende sind mit gutem Beispiel vorangegangen und haben die Fluchtbewegung als Chance gesehen. Sie haben sehr schnell erkannt, dass uns dieses Thema noch lange beschäftigen wird und haben Leadership gezeigt. Und mir fällt die Gründungsgeschichte von Amnesty ein. Sie zeigt den Spielraum, den wir alle haben:
Peter Benenson war Jurist. Anfang der 60iger Jahre hat er einen Zeitungsartikel über die „forgotten prisoners“ in Portugal geschrieben. Damals gab es auch in Europa noch Diktaturen. Er hat über zwei vergessene Gefangene berichtet und hat die Menschen aufgefordert, Briefe an die dortigen Machthaber zu schreiben. Das war der Grundstein für diese große Organisation. Briefe sind bis heute ein wichtiges Tool von Amnesty. Ich finde diese Botschaft faszinierend: „Du als einzelner Mensch, du kannst etwas machen. Du kannst mit einem Brief ein Leben verändern.“ Gespräche mit MenschenrechtsverteidigerInnen, die durch das Engagement vieler, die Briefe geschrieben haben, aus dem Gefängnis freigekommen sind, beeindrucken mich immer sehr und ermutigen mich. Wenn diese MenschenrechtsverteidigerInnen erfahren, dass sie Amnesty International sich ihrer angenommen hat, gibt es ihnen neuen Mut und Kraft, ganz schlimme Situationen zu bewältigen. Das ist – finde ich – ein sehr schönes Bild für das „Entängstigen“ auf beiden Seiten.
Da zitiere ich Roosevelt: „The only thing we have to fear is fear itself“. Und wenn es stimmt, dass etwas von dieser diskutierten Angst in jedem von uns steckt, dann würde ich jedem/er UnternehmerIn einmal raten: Schau nicht zuerst auf deinen Betrieb, sondern gehe einmal in dich und schau dich selber an: Wo sind da diese heilungsbedürftigen Landschaften in deiner Lebensbiographie, in deiner gewachsenen, inneren Welt? Wo sind diese Unheilsregionen, die dir selber so Angst machen, dass du Angst um deine Firma und vor dem Change, der kommen wird, haben musst? Ich glaube, einer, dem es gelingt, dass seine Ängste kleiner und sein Vertrauen in sein Handeln und seine Person und sein Einstehen größer werden, der ist immer die bessere Führungskraft.
Ich habe einmal eine Frau gefragt, die in schwierigsten Situationen für Flüchtlinge eingestanden ist, was ihr Geheimnis ist und ihre Antwort war: „Ich fühle immer göttlichen Rückenwind!“ Wenn du irgendwo eine Quelle für Wind hast, dann bist du immer besser dran. Ich glaube, das Schlimmste für eine Führungskraft ist, wenn er oder sie spirituelle Windstille hat. Es ist nichts so visionsproduktiv, wie eine gesunde, handfeste Spiritualität. Spiritualität kann eine Ur-Ressource gegen die Angst sein. Ich meine nicht die Halleluja-Schlümpfe, die so frömmelnd herumlaufen und die Welt vergessen, sondern ich meine einen, den der Rückenwind in seiner Biographie vorantreibt. Und sich Fragen stellt, die den Kontext einbeziehen: Was braucht jetzt das Land? Was braucht Europa? Was braucht meine Firma? Und manchmal auch: Was braucht meine Familie und was brauche ich selbst?
Fang bei dir an und such dir für das, was du tust einen höheren Zusammenhalt. Such dir einen Zusammenhang, der dich beflügelt. Damit ist der Aufruf Ihres Buches „Entängstigt Euch!“ eigentlich ein „Entängstige Dich!“