Bauwende, Kreislaufwirtschaft

16.8.2023

Mind:shift – Kreisläufe neu denken. So gelingt die Klimawende bei Gebäuden.

Im Bau- und Immobiliensektor liegt einer der größten Hebel zur Eindämmung der Klimakatastrophe. Die Technik ist vielerorts vorhanden, doch immer noch kommen wir nicht „ins Tun“. Was braucht es dazu? Wir sind der Meinung, dass eine komplett neue Sicht auf die Dinge notwendig ist. Ein Mind:shift! Denn: Gebäude, die heute errichtet werden, werden die Energie- und Ressourcenwende erleben. Es ist an der Zeit, zirkulär zu denken, zu gestalten, zu nutzen, zu betreiben und so mit unseren Gebäuden für die Zukunft Haltung zu zeigen.

M.O.O.CON Kompass für klimabewusste Gebäude und Arbeitswelten. Hervorgehoben sind jene Kompass-Segmente, die es braucht, um Kreislauffähige Gebäude zu ermöglichen. 
© M.O.O.CON

Warum wir unsere Gebäude in Kreisläufen denken müssen

Wir leben auf zu großem Fuß

Das bisherige take-make-waste Prinzip befindet sich auf Kollisionskurs mit den Belastungsgrenzen unseres Planeten. Gewinnung und Verarbeitung von Ressourcen sind für mehr als 90% des weltweiten Biodiversitätsverlusts und mehr als die Hälfte aller Treibhausgasemissionen verantwortlich. Unser Ressourcenverbrauch hierzulande entspricht dem Bestand von 3 Erden.1

Was hat das mit der Bau- und Immobilienbranche zu tun?

In Deutschland werden mehr als 70% der abgebauten Rohstoffe für die Bauindustrie verwendet.  Bei Kiesen, Sanden und gebrochenen Natursteinen sind es 95%, welche in der Bauindustrie genutzt werden.2  

Das klingt an sich noch nicht problematisch, denn man möchte meinen, dass Sand und Kies in ausreichenden Mengen verfügbar sind. Jedoch - und hier liegt das Problem - steht die geologisch ausreichende Menge nur zum Teil für den Abbau zur Verfügung, denn viele Sand- und Kiesvorkommen liegen entweder unter bebauter Fläche oder in Naturschutzgebieten. Bei Metallerzen werden sogar nahezu 100% der Ressourcen für Deutschland importiert, ein Drittel davon wird für den Bausektor verwendet.3

Kritische Rohstoffe kommen zudem oft aus politisch instabilen Ländern und Lieferketten sind häufig nicht transparent, was enorme Folgen für die Abbaugebiete hat. Zusätzlich zeichnet die Bauindustrie für einen Großteil des Abfallaufkommens verantwortlich. Die Deponiekapazitäten sind jedoch begrenzt und werden immer knapper.

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an BMK & BMLRT (2020) Ressourcennutzung in Österreich 2020, Band 3.0, S. 85

Alle Länder, die kritische Rohstoffe bereitstellen, nach Entwicklungsstatus und politischer Stabilität gruppiert, 2017

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Österreichischer Bundes-Abfallwirtschaftsplan 2023, S. 48

Zusammensetzung des österreichischen Gesamtabfallaufkommens im Jahr 2020 nach Abfallgruppen

Das bedeutet, dass wir zukünftig immer öfter nicht nur mit einer Knappheit am Anfang (bei der Ressourcenverfügbarkeit), sondern auch mit einer Knappheit am Ende des Produkt-Lebenszyklus (bei den Deponiekapazitäten) konfrontiert sein werden bzw. schon sind.

EXKURS

Rechtliche Grundlagen und Strategien zur Kreislaufwirtschaft auf EU-Ebene, in Deutschland und Österreich

Der Übergang von einer Linear- zu einer Kreislaufwirtschaft ist sowohl Gegenstand der SDGs (UN-Nachhaltigkeitsziele) als auch des Ende 2015 verabschiedeten Kreislaufwirtschaftspaketes der Europäischen Kommission sowie des im März 2020 veröffentlichten Aktionsplans für die Kreislaufwirtschaft der EU. In Österreich wurde im Dezember 2022 vom Ministerrat eine nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie mit einem Transformationsschwerpunkt auf Bauwirtschaft und Infrastruktur, beschlossen. Deutschland befindet sich noch im Prozess der Entwicklung der nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie, der Beschluss ist für Mitte 2024 angestrebt.

Lineares Wirtschaftssystem vs. kreislauffähiges Wirtschaftssystem (eigene Darstellung).

Wie wir Kreislauffähigkeit umsetzen können

Wie es uns gelingen kann, das Konzept der Kreislauffähigkeit in der Gestaltung, Nutzung und dem Betrieb von Gebäuden und Arbeitswelten umzusetzen, zeigen wir anhand konkreter Handlungsfelder.

GESTALTEN

Handlungsfeld: Nutzungsdauer – Raum über Generationen hinweg nutzen

Um den Ressourceneinsatz für Gebäude zu minimieren, ist das wichtigste Ziel die Reduktion von Neubauten. Die Frage, die es zu beantworten gilt, lautet: Wie kann mein Bedarf mit bereits existierenden Räumen oder Gebäuden gedeckt werden? Insbesondere der Rohbau ist voller Ressourcen und Primärenergie. Studien zeigen, dass sich mit Bestanderhalt der Tragstruktur (Rohbau) 67% der CO2-Emissionen reduzieren lassen:

Hier zeigt sich wie viel Emissionslast durch konsequente Weiternutzung der Bestände eingespart werden könnte.
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an 6b47.com/de/investor-trends-insights/francis-durch-den-bestandserhalt-entsteht-das-nachhaltigste-burogebaude-wiens (zugegriffen am 10.05.2023)

Handlungsfeld: Materialauswahl – Gebäude als Teil der Wertstoffkette konstruieren

Ein Gebäude besteht aus unterschiedlichsten Materialien. Sie weisen Unterschiede in Hinblick auf Entstehung, Verfügbarkeit, Lebensdauer, Umweltwirkungen (graue Emissionen), Verwertungs- sowie Wieder- und Weiterverwendungsmöglichkeiten auf. Aber nicht alle Produkte, die beispielsweise einen sehr hohen Primärenergieverbrauch in der Herstellung haben, sind per se als schlecht einzustufen, da sie sich problemlos und beliebig oft recyclen lassen. 

90% der Baurestmassen in den betrachteten Gebäuden (siehe Grafik) bestehen aus nur drei Materialien:

  • zementgebundene Baustoffe
  • Keramische Baustoffe 
  • Natur und Kunststein

Es gilt für diese drei Stoffgruppen Kreisläufe zu schaffen. Abgerissener Beton wird jedoch oft nur downgecycelt.  

Bei Keramik und Naturstein ist die Wiederverwertbarkeit sehr stark projekt- und produktabhängig, erläuterte Luise von Zimmermann, Expertin von concular in unserem Webinar zum Thema „Kreisläufe denken“ am 20. Juni 2023. Es hängt also davon ab, wie die Produkte verbaut wurden und sich entsprechend wieder lösen lassen. 

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an RMA und TU Wien (2011), Konzept zur nachhaltigen Nutzung von Baurestmassen; hier: Analyse von 6 Gebäuden in Österreich

Gebäude werden für die Montage konzipiert, die Demontage und Anpassbarkeit wird jedoch selten in der Planung berücksichtigt

 

Anna-Vera Deinhammer, ÖGNI Representative @ World Green Building Council & @ Climate Positive Europe Alliance CPEA

 

Aus meiner Sicht sollte die Konstruktion für eine Ewigkeit konzipiert werden und alles andere darf nicht untrennbar sein.

Was in der Planung beginnt, setzt sich in der Bilanz fort
Zudem wird der Restwert eines Gebäudes vorwiegend negativ bilanziert. Nach ihrer Abschreibung werden Gebäude üblicherweise kostenintensiv abgebrochen, stattdessen müssen wir Gebäude aber als Rohstofflager, als „urbane Minen“, sehen. Viele dieser Rohstoffe haben, auch nach Nutzungsende des Gebäudes, noch einen signifikanten Wert.

EXKURS

Gebäude aufschreiben statt abschreiben

Der Kreis Viersen macht es vor: Mit einem Sondererlass des Bauministeriums in Nordrhein-Westfalen kann bei zirkulär geplanten und digital dokumentierten Gebäuden nun ein Rohstoffrestwert in der Bilanz hinterlegt werden. Damit reduzieren sich die jährlichen Aufwände in der Gewinn- und Verlustrechnung.  

Quelle: Patrick Bergmann - Nachhaltiges Bauen: Ein Trend, der sich auch monetär lohnt, Fritz Knapp Verlag, 2023

Diese Prinzipien gilt es auf zukünftige Planungen zu übertragen: 

  • Robuste Konstruktion.
  • Flexibles und anpassungsfähiges Design.
  • Nachhaltige Materialien und Technologien, die nicht untrennbar miteinander verbunden sind.
  • Barrierefreiheit    (im Sinne vielfältiger Nachnutzungsmöglichkeiten).

Damit werden viele Akteur:innen zum Umdenken aufgerufen:

  1. Architekt:innen und Ingenieur:innen müssen bereits in der Konzeption und Planung die Verfügbarkeit von Materialien und Bauprodukten mitdenken und Kompetenzen für das Handwerk auf der Baustelle im Sinne von Montage und Demontage aufbauen. 
    Damit wird sich auch der Planungsprozess verändern – vermutlich wird in den frühen Planungsphasen der Mehraufwand entstehen, alle Akteur:innen miteinander zu vernetzen. 
  2. Die Hersteller:innen und Produzent:innen von Baustoffen müssen die Zirkularität ihrer Produkte garantieren: Das kann zum einen über Rücknahmeangebote/-garantien erfolgen und zum anderen über sogenannte Mietmodelle (product as a service), in denen Nutzer:innen nicht immer zwingend Eigentümer:innen des Produktes werden. 
  3. Bei der Entsorgung benötigen wir neue Techniken für Wiederaufbereitung einzelner Produkte. Zudem ist die Zusammenarbeit mit den Hersteller:innen gefragt, um den Kreislauf direkt zu schließen.

Zu guter Letzt liegt es an den Auftraggeber:innen von Bauprojekten, diese Transformation in Gang zu setzen, indem sie die Nachfrage nach zirkulärem Design, Sekundärroh- und -baustoffen anzukurbeln.

 

Anna-Vera Deinhammer

 

Wir sollten die Komplexität umarmen! Wir brauchen keine Veränderungen, sondern eine Transformation – von der Raupe hin zum Schmetterling!

EXKURS

Leihen statt kaufen

Können Produkte wieder an Qualität gewinnen, wenn sie nur noch ausgeliehen und nicht erworben werden müssten? Wenn die Produzent:innen die Hauptverantwortung über ihre Produkte behalten würden, wäre ein wesentlicher Impuls gegeben, diese Produkte auch qualitativ und langlebig zu gestalten. Die geplante Obsoleszenz, also der programmierte Verschleiß von Produkten und die daraus resultierende mangelnde Produktplanung über den gesamten Lebenszyklus eines Produkts und darüber hinaus könnte dadurch vermieden werden.

 

Luise von Zimmermann, Business and Product Development bei Concular, sieht hier einen großen Hebel für die Zukunft: 

 

Hersteller werden beispielsweise damit beauftragt einen bestimmten Beleuchtungsgrad für ein Gebäude zu erreichen, das führt dazu, dass weniger Leuchten eingebaut werden, weil es im Interesse des Herstellers liegt, effizient zu planen und nicht – wie bisher – möglichst viele Leuchten zu verkaufen.

Wie uns Datentransparenz auf dem Weg zur Kreislaufähigkeit im Bau unterstützen kann

Die Digitalisierung bietet eine Vielzahl von Möglichkeiten, um die Umsetzung der zirkulären Wertschöpfung im Bauwesen zu unterstützen. Mit Methoden der künstlichen Intelligenz können wir ressourcen- und energieeffizient – ja, -neutral! – planen und bauen. Building Information Modeling (BIM) spielt hier eine entscheidende Rolle.

Durch Materialtracking (RFID-Tags, QR-Codes oder anderen Tracking-Technologien) können Materialien im Bauwesen nachverfolgt werden, um ihre Quellen zu verifizieren und sicherzustellen, dass die Materialien tatsächlich wiederverwendet werden. 

Um unsere Städte als urbane Minen zu aktivieren, muss die Akzeptanz für Sekundärprodukte erhöht, sowie regionale Rohstoffbörsen etabliert werden. Regionalität ist besonders wichtig. Es gilt lange Transportwege der Materialien zu vermeiden.

In unserem nächsten Webinar am 13.09.2023 beschäftigen wir uns mit dem Thema „Data for Net Zero“. Hier geht es zu Programm & Anmeldung.

BETREIBEN

Handlungsfeld: Abfälle als Wertstoffe behandeln

Beim Betrieb unserer Gebäude geht es vor allem darum den Bestand zu schützen. Dabei spielt das nachhaltige Betreiben eine große Rolle. Sowohl Wartungsfreundlichkeit als auch der sorgfältige und bedarfsgerechte Einsatz von technischen Anlagen kann die Lebensdauer erheblich verlängern. Durch den einfachen Tausch von Komponenten und beispielsweise Rücknahmegarantien der Hersteller können Abfälle vermieden und Kreisläufe geschlossen werden.

Handlungsfeld: Ökologische Services und Güter beschaffen

In den letzten Jahren wurden die Facility Services vor allem durch Kostendruck geprägt. Und dies hatte in erster Linie prekäre wirtschaftliche Bedingungen auf Seiten der Dienstleister:innen und Qualitätseinbußen auf Seiten der Auftraggeber:innen zur Folge - niemand gewinnt. Daher braucht es auch im Gebäudebetrieb einen Mind:shift hin zur Beschaffung nach sozialen und ökologischen Kriterien.

NUTZEN

Handlungsfeld: Bewusst handeln

 

What you do makes a difference, and you have to decide what kind of difference you want to make.

Dr. Jane Goodall (The Guardian 2018)

 

Unternehmen haben die Verantwortung, bedeutende Veränderungen bewirken zu können. Darüber hinaus kann ein nachhaltiger Ansatz die Attraktivität eines Unternehmens verbessern und die Marke stärken. Ein solider Nachhaltigkeitsplan kann Talente anziehen, die Mitarbeiter:innenbindung erhöhen und ein positives Arbeitsumfeld fördern. Er kann dazu beitragen, eine Kultur der Nachhaltigkeit innerhalb der Organisation zu etablieren und die Mitarbeiter:innen zu inspirieren, ähnliche Praktiken in ihrem persönlichen Leben anzuwenden, wie zum Beispiel Hardware wie Laptops oder Handys länger in Verwendung zu haben oder gebraucht zu kaufen und dem Modernisierungsstress6 entgegenzuwirken.

Diese Initiativen tragen nicht nur dazu bei, den ökologischen Fußabdruck der Organisation zu verringern, sondern sind auch eine ständige, sichtbare Erinnerung für die Mitarbeiter:innen an die Bedeutung der Nachhaltigkeit und die Grundsätze der Kreislaufwirtschaft.

FAZIT – Paradigmenwechsel in der Bauwirtschaft jetzt!

Alarmierende Zahlen zu Abfallaufkommen und Ressourcenknappheit, sowie die daraus resultierenden Lieferengpässe und Preiserhöhungen sind nur einige Gründe, die für einen notwendigen Paradigmenwechsel in der Bauwirtschaft sprechen.

Die Kreislaufwirtschaft im Baubereich als Lösungskonzept ist mehr als nur der Rückbau von Gebäuden. Es braucht einen Blick aus allen drei Bereichen: Gestalten, Nutzen, Betreiben

Ein Unternehmen, das in der Zirkularität von Produkten, Materialien und Komponenten einen Mehrwert erkennt, Gebäude und Raum über Generationen hinweg nutzt, bewusst handelt und ökologisch beschafft, Abfälle als Wertstoffe behandelt, dazu eine Story erzählen kann, die seinen Mitarbeiter:innen und seinem Umfeld Sinn vermittelt, kann ein Feuer entfachen.

Dieses Feuer wirkt auf den Markenkern, macht Unternehmen zukunftsfähig und es bringt uns Menschen und die Gesellschaft weiter in Richtung einer lebenswerten Zukunft.

Analoge und digitale Events

Die nächsten Mind:shift Termine

1 https://www.circularfutures.at/themen/kreislaufwirtschaft/, zugegriffen am 10.05.2023
und www.welthungerhilfe.de/informieren/themen/klimawandel/earth-overshoot-day-welthungerhilfe, zugegriffen am 18.05.2023

2 https://www.umweltbundesamt.de/umweltatlas/bauen-wohnen/wirkungen-bauen/rohstoffentnahme-bauen/welche-menge-an-rohstoffen-braucht-die-bauindustrie, zugegriffen am 10.05.2023

3 https://www.wwf.de/themen-projekte/waelder/mining/mining-auswirkungen-des-deutschen-rohstoffbooms zugegriffen am 10.05.2023

4 BMK (2022) Die österreichische Kreislaufwirtschaftsstrategie, S. 15 www.bmk.gv.at/themen/klima_umwelt/abfall/Kreislaufwirtschaft/strategie.html (zugegriffen am 10.05.2023)

5 BMUV (2023) NKWS, Grundlagen für einen Prozess zur Transformation hin zu einer zirkulären Wirtschaft, S. 14, https://www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Abfallwirtschaft/nkws_grundlagen_bf.pdf

6 Niko Paech, Umweltökonom, www.arte.tv/de/videos/086089-015-A/schluss-mit-wachstum/

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