11.12.2019

Die Psychologie von (Büro)Räumen – Teil 2

Was bedeutet Aneignung von Raum und warum ist ein Mindestmaß an Kontrollmöglichkeit wichtig?

In einer zweiteiligen Serie geben wir Einblicke in die wesentlichen psychologischen Mechanismen des Menschen, ihren Einfluss auf Akzeptanz, Wohlfühlen und schlussendlich Effektivität der neuen Arbeitswelt. Wir zeigen Ansätze, wie diese Mechanismen in der Implementierung berücksichtigt werden können.

  • Teil 1 beschäftigt sich mit dem Bedürfnis nach Privatheit und der Bedeutung des Territoriums.

  • Teil 2 zeigt auf, wie Aneignung von Raum stattfindet und warum ein Mindestmaß an Kontrollmöglichkeiten wichtig ist.

Aneignung von Raum im non-territorialen Büro. Ein Widerspruch in sich?

Die Aneignung von Raum heißt, den Raum als den Eigenen zu erleben und ihn auch als Territorium wahrzunehmen. Das kann über äußere Faktoren (Markierung, Personalisierung, Veränderung), aber genauso über psychische Prozesse (Erforschen, Kategorisieren, Benennen, Planen, Verwalten) erfolgen.

Welche Bedeutung hat die Aneignung von Raum im Kontext von Arbeitsräumen?

Der Arbeitsraum, und nicht zuletzt der Arbeitsplatz, ist ein wichtiger Aspekt für die Identifikation mit dem Unternehmen, ein Anker für die Zugehörigkeit zum Unternehmen. Das geht soweit, dass der Verlust des eigenen Schreibtisches manchmal unbewusst mit einem Verlust des Jobs gekoppelt wird und daher oft starke emotionale Reaktionen das Resultat sind.

Räume, die als eigene wahrgenommen werden, werden anders belebt, verteidigt, genutzt und gepflegt als öffentlicher oder halböffentlicher Raum. Im klassischen Zellenbüro findet Aneignung über Personalisierung, Veränderung, Verschönerung und dem Positionieren von klar zuordenbaren Gegenständen statt (z.B. Ablage von Unterlagen).

In non-territorialen Büros ist es eine Herausforderung, Möglichkeiten für eine gelungene Aneignung von Raum zu schaffen. Nicht mehr der eigene Schreibtisch oder das eigene Zimmer sind der Anker, sondern eine Zone oder ein Stockwerk. Der angeeignete Raum ist kein privater Raum mehr, sondern ein geteilter Raum bzw. halböffentlicher Raum. Zur Herausforderung der persönlichen Aneignung kommt noch die Notwendigkeit der Aushandlung der Spielregeln mit einer größeren Gruppe.

So kann Aneignung auch in non-territorialen Büroumgebungen gefördert werden

  1. Verständnis und Akzeptanz des Raumkonzepts fördern. MitarbeiterInnen, die Vorteile und Potenziale des Raumkonzepts für sich selbst sehen und den Sinn verstehen, tun sich leichter in der Aneignung einer geteilten Fläche.

  2. MitarbeiterInnen in die Planung einbinden. Mitgestaltung und Mitentwicklung sind bereits ein Akt der Aneignung, da ich etwas von mir hineingegeben habe.

  3. MitarbeiterInnen bei Möbeln, Gestaltung, Ausstattung mitentscheiden lassen. Weniger starker Effekt als bei Punkt 2, aber auch eine Möglichkeit, eigene „Fußabdrücke“ zu hinterlassen.

  4. Spielraum für ausgewählte MitarbeiterInnen in der finalen Gestaltung schaffen. Sei es in der Gruppierung und Anordnung der Möbel, der Pflanzen, des Designs.

  5. Spielraum für persönliche Details schaffen. Beispielsweise durch für MitarbeiterInnen gestaltbare Wände. Das ist ein Akt der Personalisierung auf einer gemeinsamen verwendeten Fläche.

  6. Gemeinsamen Spielregeln im Umgang mit den geteilten Räumen entwickeln. Jede Auseinandersetzung mit der Fläche hilft sich dafür auch verantwortlich zu fühlen.

Sabine Zinke, Partnerin bei M.O.O.CON

Die Aneignung des Raums ist elementar für den späteren Umgang mit dem Raum, der zweckmäßigen Verwendung, der Sorgfalt und der sozialen Kontrolle. Sie hängt eng mit dem Gefühl der Umweltkontrolle zusammen.

Umweltkontrolle: Der wichtigste Faktor für Zufriedenheit und Produktivität

Im Arbeitskontext gibt es eine psychologische Komponente der Umweltkontrolle (Gefühl der Autonomie und Selbstvertrauen, Spielraum bei Entscheidungen, Möglichkeit Veränderungen mitbeeinflussen zu können) und eine physische Komponente (Kontrolle über Raumgestaltung und Stressfaktoren). Am stärksten wahrgenommen wird eine Nicht-Beeinflussbarkeit der Basis-Wohlfühlfaktoren wie Licht, Luft, Temperatur und Lärm.

Potenzielle Stressreize nicht beeinflussen zu können wirkt sich negativ auf die Zufriedenheit mit der Arbeitsumgebung und auch auf die Leistung aus. Das ist eine häufige, aber nicht notwendige Kritik an Open Space Büros.

    Umweltkontrolle in Multi-Space Büros und non-territorialen Arbeitsräumen

    So funktioniert es:

    1. Einbindung in die Planung
      Wie auch bei der Aneignung von Raum ist eine Partizipation im Designprozess eine Möglichkeit, die Arbeitsumgebung mitbeeinflussen zu können und wirkt sich auf das Gefühl von Kontrolle aus. Doch gerade, wenn es um die Basis-Wohlfühlfaktoren geht, ist eine Beeinflussbarkeit in offenen Raumkonzepten sehr limitiert und mit intensiven Aushandlungsprozessen im Team verbunden. Da es hier sehr große Unterschiede in der persönlichen Wahrnehmung und Befindlichkeit gibt, wird man selten alle Beteiligten zufriedenstellen können.
       

    2. Stressreizen aus dem Weg gehen können
      Ein Ansatz ist, bei der Gestaltung bewusst wärmere und kühlere Zonen zu schaffen, Orte mit unterschiedlichen Lichtqualitäten zur Verfügung zu stellen und Räume mit zu öffnenden Fenstern zu planen.
       

    3. Selbstbestimmung des Arbeitsortes
      Non-territoriale Arbeitsräume können „verloren“ geglaubte Umweltkontrolle gut ausbalancieren, da über die freie Wahl des Arbeitsortes wieder Kontrolle (oft sogar eine größere) gegeben ist und man auf die unterschiedlichen Bedürfnisse im Laufe eines Tages eingehen kann. Voraussetzung ist dabei, dass auch im Sinne der Bereitstellung unterschiedlicher Qualitäten von Arbeitsorten geplant wird. Verschiedene Varianten an taktilen, auditiven, visuellen, stimulierenden Umgebungen müssen vorhanden sein, um eine echte Wahlfreiheit zwischen Öffentlichkeit, Privatheit, Lärmniveau, visueller Exponiertheit, Anregung usw. zu ermöglichen.

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